Julia Timmer

KÄTHE

Herbst 2024

Julia Timmer realisiert eine neue Ausführung ihrer "Sozialen Objekte" (SO) und nennt diese KÄTHE. Es handelt sich um einen großen, bunten Flugdrachen in der Form einer Krähe, die sie am Ende des Sommers mit Hilfe von über tausend Krefelder*innen in der )PFÖRTNERLOGE(  gebaut hat.  Sie lädt private Gruppen, Schulklassen, Seniorenvereine, Familien und Freunde zu regelmäßigen Workshops ein,  um einen individuellen Beitrag  zu dieser kollektiven Plastik zu leisten.

Julia Timmers "Soziale Objekte"  sind gemeinschaftlich erarbeitete Gegenstände (wie z. B. ein Teppich oder, im aktuellen Fall, die Figur eines Raben aus diversen Materialien), die in einem gruppendynamischen Prozess mit Gästen aus allen Bereichen der Zivilgesellschaft entstehen. Die Produktion der SO ist also ein Anlass, zusammen zu kommen und während der Arbeit miteinander in Kommunikation zu treten.

Während der gesamten Projektzeit in der )PFÖRTNERLOGE( war Julia Timmer jeden Tag vor Ort und hat Einzelbesucher*innen und ganze Gruppen animiert, an der Figur eines Raben zu arbeiten. Nach einem öffentlichen Aufruf in der Presse und in lokalen Medien, kamen in wenigen Wochen mehr als tausend Personen, darunter sehr viele Schüler*innen aus allen Klassenstufen, aber auch Senior*innengruppen, und haben KÄTHE gemeinsam erarbeitet. In der Regel realisierten die Teilnehmende jeweils eine Feder des Vogels.

Timmer gibt viel ab und begleitet den kreativen Prozess ohne ihn zu leiten. Sie schlägt Formen und Methoden vor, stellt Materialien zur Verfügung und unterstützt die Teilnehmenden bei der Durchführung ihres Vorhabens. Aber sie bestimmt keineswegs die ästhetische Wirkung des „Endproduktes“ und weißt nie, wie ihr Projekt endgültig aussehen wird.

Die Wahl, eine übergroße Rabenfigur zu realisieren, referiertiert übrigens auf die Namensherkunft der Stadt: Das „Krähenfeld“. Seit der Neuzeit ist die Krähe zu einem Erkennungszeichen für Krefeld geworden und ziert als Motiv zahlreiche Gebäude in der Stadt. Damit möchte Julia Timmer ihre lokale Verankerung und die Identifikation der Krefelder*innen mit dem Wappentier betonen.

 

Am Ende des achtwöchigen Arbeitsprozesses wurden alle Teilnehmenden eingeladen, die Einzelteile zu einem Ganzen zusammenzuführen und KÄTHE in den Krefelder Himmel fliegen zu lassen. Nach der Lesung von Wienke Treblin, die XXX, fand eine Prozession in der unmittelbaren Umgebung der )PFÖRTNERLOGE( statt. So konnte die kleine KÄTHE-Gemeinschaft noch einmal zusammenkommen und sich bei diesem Ritual von der Krähe verabschieden.

 Über diesen feierlichen Abschluss hinaus ist es geplant, KÄTHE (oder Teile davon) zu verkaufen. Der Erlös wird komplett an eine lokale, soziale Einrichtung weitergegeben. Dies verdeutlicht die soziale Logik der sozialen Objekte: Sie sind in der Mitte der Gesellschaft entstanden und fließen – oder fliegen – zurück zu ihr.

Auszug aus der Einführung von Emmanuel Mir

"... Designer sind Menschen, die Gegenstände und Ausstattungselemente nach ästhetischen, praktischen und funktionalen Kriterien gestalten. Als gelernte Designerin fügt Julia Timmer zu diesem traditionellen Aufgabenbereich einen weiteren hinzu und gibt ihm eine besondere Relevanz: Das Gestalten des Sozialen. Dabei sind weniger der fertige Gegenstand, sondern vielmehr die kommunikativen Abläufe von Belang. Das Objekt ist ein Vorwand, um am sozialen Stoff zu weben. Die SO! schaffen ein Bewusstsein für soziale Zusammenhänge und machen diese sinnlich erfahrbar. Am Ende will Julia Timmer kein übliches Kunstwerk anbieten, sondern ein Erlebnis, eine gemeinschaftliche Erfahrung, die sich in einem Objekt materialisiert hat.

 

Mit den SO! bekommt das Kunstwerk eine neue formale, aber auch eine inhaltliche Dimension. Julia sagt dazu: „Ich denke Menschen, benötigen eine neue Sicht auf die Dinge. Eine neue Ästhetik. Wir müssen uns bei jedem sinnlich wahrnehmbaren Einfluss oder Objekt fragen, woher das kommt, unter welchen Umständen es gefertigt ist und ob der Prozess sozial und ökologisch vertretbar ist“. Die SO! sind also Mittler eines neuen Bewusstseins, einer feineren Aufmerksamkeit für die soziale und ökologische Tragweite des Gegenstandes. Kein Fetisch, sondern ein Anlass zur Reflektion; keine Trophäe , sondern ein Objekt, das fragt: "Wie wollen wir leben?" . Dass solche Objekte für den klassischen Kunstmarkt wenig interessant sind , ist selbstredend.

 

Indem sie einen Beitrag zu unserer Dingwelt leisten und die Objekte entwerfen, die wir bei jeder gesellschaftlichen Interaktion nutzen  - vom Kaffeekocher zum Auto, vom heimischen Sofa zur öffentlichen Toilette -, gestalten Designer*innen immer das Soziale. Aber diese Aufmerksamkeit für den gemeinnützigen Charakter ihrer Arbeit scheint noch zu unterentwickelt zu sein, bzw. zu sehr auf die Funktion der jeweiligen Gegenstände fixiert zu sein. Es darf nicht vergessen werden, dass alle diese Dinge, die unseren Alltag mitprägen, die Qualität und sogar den Sinn unseres Lebens  strukturell mitbestimmen.

 

Das Gestalten des Sozialen ist übrigens eine vordergründige Aufgabe der Politik. Aber Künstlerinnen und Künstler helfen gerne. Wenn ich das heutige Ergebnis des Prozesses um KÄTHE sehe, wünsche  ich mir, dass mehr Menschen wie Julia Timmer als Berater*innen der Lokalpolitik einbezogen werden und, als Experte des Guten Lebens, anders eingesetzt werden als in den Hallen eines Kunstmuseums oder einer Galerie…"  

Zur Künstlerin

Julia Timmer wurde in Krefeld geboren. Sie studierte an der Peter Behrens School of Art  in Düsseldorf sowie an der Hochschule Niederrhein in Krefeld und spezialisierte sich in Experimental Design und Social Design.  Neben ihrer Lehrtätigkeit an der Hochschule Rhein-Waal und der Fachhochschule Aachen, ist sie seit 2019 für projektbezogene Arbeiten bei den Kunstmuseen Krefeld und für das Management von Corporate Designs von u. a. Misereor oder die  Altenhilfe freiberuflich tätig. Sie wurde zweimal für den „German Design Award“ nominiert und nahm an zahlreichen Ausstellungen teil. 

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